Rede von Herrn Rudolf L. Schreiber

Jubiläumsveranstaltung:            Staatliche Vogelschutzwarte Frankfurt

Datum:                                    6. Oktober 2007, 14.00 Uhr

Vortrag:                                  Rudolf L. Schreiber

Titel:                                        Balztanz oder Totentanz?

                                                Bemerkungen eines Außenseiters

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Paarungsvorspiel bei Vögeln mit komplizierten Handlungsketten durch optische, akkustische und taktische Balzsignale die Partner zur Paarung zusammenzuführen.

Totentanz

Der Totentanz stellt Menschen im Reigen mit Toten dar, von denen sie weggerafft werden.

Übertragen bedeutet Balztanz und Totentanz auch:

Es geht jedoch nicht um Entweder – Oder sondern um sowohl als auch. Leben und Tod sind nur vermeintlich feindliche Fronten, sie sind in Wirklichkeit zwei Seiten einer Medaille.

So steht es auch mit Gut oder Böse. Es sind zwei Anlagen des Menschen, die, wenn sie manipuliert und missbraucht werden, zu kollektivem Fehlverhalten führen können.

Es ist eine gewagte These, die der Überprüfung bedarf, aber sie hat einen erschreckenden Wahrheitsgehalt. Soviel zu Balztanz oder Totentanz, zu Verführung für das Leben oder den Tod.

Der Mensch hat sich vermutlich wenig oder nicht verändert. Seine Anlagen sind die alten. Die Umstände haben sich verändert. Die geschaffene Wirtschaftswelt hat die Menschheit erstmals an die Grenzen des Wachstums und die Grenzen der Missachtung von Moral gebracht.

Vor diesem Hintergrund ist die Gefährdung unseres Planeten durch irrsinnigen Konsum sowie Terrorismus zu verstehen.

Was wir dringend benötigen, ist ein globales Miteinander, eine weltumspannende Politik, die sich an den Grenzen der Ökologie und an wirtschaftlicher Bescheidenheit orientiert.

Die Außenpolitik der Staaten muss sich zu einer Innenpolitik der Weltgesellschaft verändern und die Kehrtwende muss auf allen Gebieten, in allen Ländern, in allen Gruppen und Religionsgemeinschaften erfolgen.

Die Menschheit steht vor dem größten Paradigmenwechsel ihrer Geschichte. Die biologischen Anlagen des Homo Sapiens mit seinem Brunft- oder Imponiergehabe zur Herausbildung von Führungsstrukturen waren bisher der evolutionären Entwicklung perfekt angepasst.

Eigenschaften wie Vitalität, Körperkraft und Intelligenz sind sinnvolle Auswahlkriterien für die Führerschaft von Leitfiguren.

Der Mensch ist hinsichtlich dieser Anlagen immer noch ein Neandertaler und handelt dementsprechend; er hat jedoch kulturell eine Welt geschaffen, die andere Führungseigenschaften erfordern und die geistig-moralische Seite mehr einbringen muss, um ein Gleichgewicht der Verhältnisse auf der Erde darzustellen.

Bescheidenheit, die Anerkennung von Wachstumsgrenzen, ökologische Realitäten und geografische Begrenzungen sind zwingend.

Vor allem benötigen wir jedoch eines: eine neue Moral. Das Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Moral sein oder es wird nicht sein.

Der Bedarf nach einer Kehrtwende zu Werten jenseits des Materiellen drückt sich in der hohen Anerkennung der Persönlichkeiten wie dem Dalai Lama und dem Papst aus.

Es mangelt uns nicht an Wissen, es mangelt an der Entlarvung falscher Strategien, verbreiteter Dummheiten, und es mangelt an Mut zum Widerstand gegenüber der Gegenwart.

Leitfiguren

Leitfigur des Guten: George W. Bush

„Gesunde Kinder brauchen keine Krankenversicherung“

US-Fernsehen, 11. 10. 2000

„Gut oder böse: In Bush’s vom Glauben bestimmter Rhetorik gibt es keine Grautöne: „Ihr seid entweder für uns oder Ihr seid gegen uns“, hatte er unmittelbar nach dem 11. September dem Rest der Welt erklärt.

„Das Regime im Irak hat seit über einem Jahrzehnt im Geheimen Anthrax, Nervengas und atomare Waffen entwickelt. … Staaten wie diese … bilden eine Achse des Bösen.“

George W. Bush, 29.1.2002

Leitfigur des Bösen: Osama Bin Laden

„Ich bin nur ein Sprachrohr. Ich strebe keinerlei Macht an, ich habe auch nicht die Absicht, mich gegen die Welt zu stellen, aber ich werde unerschütterlich in meinem Engagement sein bis zu meinem Tod, wenn ich auch im Rollstuhl zu Vorträgen gebracht werden muss.“

Globalisierung ist grundsätzlich nicht gut oder böse, sie bringt Vorteilhaftes und Nachteiliges. Vorteilhaft ist Austausch von Wissen und die Chance zu einer globalen Verbreitung gemeinsamer positiver Werte.

Die schlechten Seiten der Globalisierung liegen in der neuen Dimension der Kapitalkonzentration, des Missbrauchs von Macht, der eskalierenden Gewalt und der Beschleunigung der Vorgänge sowie der Digitalisierung des Kapitals.

Die Auswirkungen sind ökologisch, wirtschaftlich und sozial katastrophal. Hierzu Beispiele:

Ökologische Auswirkungen

Klima

Die Globalisierung des westlichen Konsummodells führt zu neuen Dimensionen Systemzerstörung

Jede Sekunde stirbt ein Mensch, alle 5 Sekunden ein Kind an Hunger auf der Welt. Hunger tötet zehntausendfach an jedem Tag, millionenfach im Jahr.

Das stille Massaker ist eiskalte Realität und im Prinzip Völkermord, denn die Probleme sind bekannt und Nahrungsmittel genügend vorhanden. Woran es mangelt, ist der politische Wille.

Nach Berechnungen der Welternährungsorganisation könnten auf der Erde 10 – 12 Mrd. Menschen ernährt werden.

Deutschland: Auch in Deutschland schreitet die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich voran. Für viele Arbeitende reicht das Geld nur für drei Wochen. Jedes fünfte Kind lebt in Armut unterhalb der Armutsgrenze. (Rund 700.000 Bedürftige nutzen die Tafeln in Deutschland).

Fallbeispiel Automobil

Anzahl der Autos auf 1000 Einwohner:

Es gibt in unserer modernen Welt unbestreitbare Realitäten, die von der Gesellschaft jedoch nicht wahrgenommen oder verdrängt werden.

Die westlichen Gesellschaften erleben zur Zeit eine der radikalsten Brüche der Menschheitsgeschichte. Nach der Befreiung aus der Unmündigkeit des Mittelalters überlassen wir heute auf globaler Ebene den Lauf der Dinge dem Kapital oder den Launen des Marktes.

Ökonomen gehen in der Regel immer noch davon aus, dass der Markt alles regelt und dass ethische und kulturelle Prozesse ihn nicht beeinflussen. Diese Wirtschaftstheorie ist alt, falsch und überholt. Der Markt regelt die Machtkonzentration, aber nicht die großen Probleme.

Auch ist falsch, die Schuld der Globalisierung zuzuschreiben. Globalisierung ist, wie eingangs erwähnt, nicht neu.

Neu ist, dass die Hand, die in der Steinzeit die Keule des Täters umfasste, heute auf der Maus vor dem PC liegt. Neu ist, dass dadurch zeitgleich weltweit Geschäfte getätigt und Macht missbraucht werden kann.

Auf dem globalen Weg der Kapitalkonzentration entsteht eine neue Sklaverei. Wer den Begriff hört, denkt an „Onkel Toms Hütte“, aber es gibt eine moderne Sklaverei, die heute auf rund 30 Mio. Menschen geschätzt wird (Just-in-time-Sklaven).

Treibende Kraft der Entwicklung ist die Strategie zum billigsten Preis.

Der Billigpreis ist die moderne, subversive Waffe zur Konzentration von Markt und Macht. Er ist die wahre Ursache der Gefährdung des Gesamtsystems Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft.

Folgen der Billigpreispolitik

Ein weiteres Beispiel ist die gestiegene Privatisierung von Staatsunternehmen. Ihr Verkauf ist im Prinzip eine Enteignung des Volkes. Die Post (die Bahn) und Unternehmen, die wir uns im Laufe der Geschichte hart erkämpft haben, wurden privatisiert.

Der augenblickliche Trend in der Weltwirtschaft ist die größte Bedrohung der Gesellschaft und die wahre Front eines globalen Wirtschaftskrieges sowie die Mutter der Armut.

Es stellt sich zunehmend die Frage, ob wir weltweit eine Demokratie gesteuerte Börse oder eine börsengesteuerte Demokratie wollen.

Wir müssen den Spieß wieder umdrehen. Der Mensch muss wieder zum Maß der Dinge werden. Wir benötigen eine neue Denk- und Konsumhaltung und dürfen nicht weiter auf die Parolen der Konzernlenker und Politiker hören, die sagen:

„Suchen Sie sich Ihr schönstes Sakko aus, wir machen es Ihnen kugelsicher.“ (Headline einer Anzeige)

Kugelsichere Westen, Absperrungen, Sicherheitszäune und Bodyguards bekommen zunehmend hohe Prestige-Bedeutung, dabei sind sie Anzeichen der pervertierten Entwicklung.

Ein weiterer Grund für die Fehlentwicklung ist die Wirtschaftstheorie, dass wir Wachstum benötigen. Bisher wird unser Wohlstand auf quantitatives Wachstum bezogen. Selbst Krankheitskosten und Unfälle erhöhen das Bruttosozialprodukt.

Abgesehen von dieser Schizophrenie in der Bewertung ist Wachstum nach bisherigem Verständnis langfristig nicht möglich. Begründung:

Wachstum muss als Veränderung verstanden werden. Quantitatives Wachstum muss im Wechsel mit qualitativem Wachstum zur Veränderung führen.

Immer mehr auf Zeit geht nicht – immer besser geht immer. Beispiel: Kahlschlag – quantitatives Wachstum – qualitatives Wachstum.

Ebenso muss Arbeit wachstumsunabhängig neu definiert werden. Wir müssen Arbeit schaffen, Arbeit im Mittelstand und in den Regionen. Menschengerechte Arbeit, die fair bezahlt wird, um den Wirtschaftskreislauf zu erhalten und den Arbeitenden vor der Hilfebedürftigkeit des Staates bewahrt.

Löhne dürfen nicht so niedrig sein, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens zum Überleben einen Zweitjob brauchen, um über den Monat zu kommen und ihre Kinder zu ernähren.

Es ist sittenwidrig, Niedriglöhne zu zahlen, die Arbeitnehmenden kein ausreichendes Auskommen bieten und besonders Kinder in Armut fallen lassen.

Das alles ist nicht neu und wir wissen genug, um zu handeln. Wir brauchen eine neue Sicht der Wirklichkeit und eine Regionalisierung der Weltwirtschaft, die mit Bodenhaftung:

So lange Gesellschaftsmodelle auf Geld beruhen, werden wir nie genug davon haben. Geld allein darf nicht der Maßstab zukünftiger Entwicklung und einer lebenswerten Zivilgesellschaft sein.

Es gilt zu erkennen, dass im wesentlichen der Kern aller Probleme im Missbrauch des menschlichen Machtstrebens liegt. Auch dass ist nicht neu, nur die Dimensionen durch die modernen Instrumente sind neu.

Wenn zunehmend Unrecht zum Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

Die Politik wird die Veränderung und Verlagerung der Macht nicht leisten können, die transnationalen Konzerne wollen sie nicht wollen, der Markt wird es nicht regeln, wir als Bürger und Konsumenten sind gefragt durch unsere Kaufeinstellung, eine Konsumenten-Demokratie zu entwickeln:

Wir dürfen nicht weiter Dinge kaufen,

die wir nicht brauchen,

von Geld, das wir nicht haben,

um Leute zu beeindrucken,

die wir nicht leiden können.

Mut zur Zukunft: Konsumenten aller Länder vereinigt Euch!

1522 begann der Aufstand der Bauern, Bürger und Arbeiter für eine soziale und politische Neugestaltung Deutschlands. Von diesem Zeitpunkt an lässt sich die Geschichte vereinfacht in neun Worte zusammenfassen:

In der Paulskirche wurde vor rund 150 Jahren über die Wandlung von der religiös geprägten Feudalordnung in die nationalstaatliche Demokratie debattiert. Heute müssen wir über den Übergang von nationalstaatlichen Demokratien in eine kosmopolitische Demokratie diskutieren.

Nationalstaatliche Grenzen sind Wunden der Machtgeschichte, sie sind veraltet und in der Informationstechnik vernetzten Welt auf gewisse Weise längst zu virtuellen Grenzen geworden.

Der blaue Planet, die Erde oder der Himmelskörper, ist ein komplex vernetztes Gesamtsystem, der im Prinzip mit all seinen Ressourcen der Weltgesellschaft gehört und nicht nationalen Regierungen.

Stellen Sie sich nur einmal vor, Ihr rechter Fuß würde Italien gehören, Ihre linke Hand dem Irak und Balztanzpotential dem Vatikan!

Fest steht: Ohne intakte Natur wird es keine intakte Gesellschaft und Wirtschaft geben. Die Wirtschaft muss Naturschutz als Selbstschutz betreiben und Naturschutz muss die Aufgaben der Wirtschaft mit bedenken.

Die Naturschutzbewegung sollte sich weltweit zum Systemschutz für Natur, Wirtschaft und Gesellschaft weiter entwickeln.

Naturschutz ist keine „Hobby-Aufgabe“ für wenige, sondern eine „Existenzaufgabe“ für alle.

Der Naturschutz benötigt das Selbstverständnis, dass die Erhaltung der Natur als dritte Kraft neben Politik und Wirtschaft stehen muss.

Es gilt, die Erotik der Natur zu verkaufen, die Lust auf Zukunft zu wecken, das qualitative Wachstum durch Anstand, Moral und mehr Menschlichkeit zu verdeutlichen.

Von allen wissenschaftlichen Szenarien über zukünftige Überlebensmodelle ist das Szenario der nachhaltigen Entwicklung am vorteilhaftesten. Wir benötigen eine Regionalisierung der Weltwirtschaft mit dem Ziel einer Staatsgrenzen überschreitenden weltweiten Entwicklung für eine zukunftsfähige Zivilgesellschaft.

Weltweites Bürger-Engagement in den höher entwickelten Staaten muss den Raum für Hoffnung und Zuversicht schaffen. Warum also bündeln wir nicht über den Naturschutz unsere Interessen für eine Notgemeinschaft der Vernunft und den Aufbau einer globalen Zivilgesellschaft durch transnationale Kooperation der Regionen und Branchen?

Eine schöne Vision anerkannter Wissenschaftler aus den 70er Jahren umreißt die Entwicklung von 1000 unabhängigen Regionen in der Welt, jede mit 2 – 10 Mio. Einwohnern, jede mit regionalen Wirtschaftskreisläufen, jede autonom, jede mit einer Stimme für jede Region ohne die erdrückende Macht von größeren Staaten und Ländern.

Ihr Ziel: eine Weltregierung mit 1000 Staatsregionen.

Modellregionen: Europa (Europäisches Parlament); Bayern (13 Mio.)

Wenn wir das wollen, müssen wir handeln und eine neue Kultur der Verantwortung und Ethik, die alles Leben auf den Planeten mit einbezieht, propagieren.

Unsere Chance ist die Leere im Markt der Gefühle. Immer mehr Menschen erkennen das bisherige Versagen der Politik und die negativen Folgen der vorwiegend materiellen Orientierung.

Das große Unbehagen ist die Chance zum Aufbruch für eine planetarische Weltgesellschaft.

In diesem Kreis, an diesem Ort sei mir erlaubt, mit zwei Zitaten zu schließen:

„Der Kosmos besteht aus Energie und deren ständigen Interaktikon. Sie schläft in den Steinen, träumt in den Blumen, wacht in den Tieren, denkt durch den Menschen und lebt im Ganzen“

oder, wie mein Freund Dr. Klaus Richarz in einem Vorgespräch gesagt hat:

„Nur die Liebe zählt“.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

Rudolf L. Schreiber

10-07

 

 

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